Das Reichsbanner
Schwarz-Rot-Gold
in Schiltach

Dr. Hans Harter

Mai 2008

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Inhaltsverzeichnis

1 Die politische Situation

Die aus der Not des Ersten Weltkriegs geborene Revolution stürzte im November 1918 die Monarchie in Deutschland. Während der Kaiser nach Holland floh und die Fürsten, so auch der Großherzog von Baden, der Reihe nach abdankten, fiel die Macht in die Hände des „Rats der Volksbeauftragten“. In ihm saßen die führenden Politiker der Arbeiterpartei SPD wie F. Ebert und Ph. Scheidemann, die das Deutsche Reich auf den Weg einer sozialen und demokratischen Republik brachten (1919: allgemeine Wahlen zur Nationalversammlung; Verkündung der neuen Reichsverfassung in Weimar).

Dieser Kurs sah sich jedoch von Anfang an entschiedener Gegnerschaft ausgesetzt: Die Linke (seit 1919: KPD) wollte die Revolution zu einem sozialistischen Rätedeutschland weitertreiben, während die Rechte der „durch Verrat“ verlorenen Monarchie nachtrauerte oder eine „nationale Diktatur“ anstrebte. So hatte die junge Republik, die auch noch das „Versailler Diktat“ erfüllen musste, mit schweren inneren Wirren zu kämpfen: Es kam zu Arbeiteraufständen und Putschversuchen (1920: Kapp; 1923: Hitler-Ludendorff), und auch vor politischem Mord wurde nicht zurückgeschreckt (1921: M. Erzberger; 1922: W. Rathenau).

Vor diesem Hintergrund linker und rechter Republikfeindschaft gründeten 1924 in Magdeburg Sozialdemokraten eine Pro-Demokratie-Bewegung, der sie den Namen „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Bund deutscher Kriegsteilnehmer und Republikaner“ gaben. Ziel war, unter dem Symbol der neuen Reichsfarben Schwarz-Rot-Gold, weitere innere Gefährdungen abzuwehren, „damit die Republik endlich zu einem Staat der deutschen Republikaner werde.“ Dieses Anliegen trugen auch die anderen verfassungstreuen Parteien mit, die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) und das Zentrum, die Partei des politischen Katholizismus, wobei die SPD führend blieb.

1926 zählte das Reichsbanner bereits 3,5 Millionen Mitglieder, deren Ortsgruppen als politische Kampfverbände auftraten: Sie trugen Uniform (Windjacke und Mütze), hatten Fahnen und Musikabteilungen, was ihren Aufmärschen, Kundgebungen und Feiern einen gewollt kämpferischen Eindruck verlieh, um „beim Gegner Eindruck zu machen“. Der war auf der einen Seite zunächst der nationalkonservativ ausgerichtete „Stahlhelm“, auf der anderen der kommunistische “Rote Frontkämpferbund“. Als seit 1929/30 die Nazi-Bewegung mit ihrer extremen Republikfeindschaft Auftrieb erhielt und mit ihren aggressiven „Sturmabteilungen“ (SA) die Straßen zu beherrschen suchte, kamen sie als dritte Front hinzu. Um ihnen gegenüber bestehen zu können, schuf sich das Reichsbanner in Gestalt der „Schutzformationen“ (Schufos) eigene kämpferische Formationen, die in Wehr- und Schutzsport ausgebildet wurden. So bereitete man sich ernsthaft auf einen Bürgerkrieg vor, bei dem die Nationalsozialisten die Hauptgegner gewesen wären.

2 Das Reichsbanner im Schiltach der 1920er Jahre


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Abbildung 1: Die Rückseite der Fahne. (Vorderseite siehe Titel)


War das Reichsbanner vor allem in den großen Industriestädten präsent, in Baden z. B. in Mannheim, Freiburg, Rastatt, Offenburg und Lahr, so stellt die Existenz einer ihrer Ortsgruppen in einer Kleinstadt wie Schiltach eine Ausnahme dar. Das zumeist protestantische, in seiner Sozialstruktur etwa zur Hälfte industriell, zur anderen Hälfte mittelständisch geprägte Städtchen, zählte 1925 ca. 2000 Einwohner. Bei den Reichs- und Landtagswahlen erhielt die SPD bis 1932 die meisten Stimmen, während die DDP als zweitstärkste Partei kontinuierlich an die bürgerlichen Konkurrenten verlor, bevor sie alle von der NSDAP aufgesogen wurden.

Die Gründung der Schiltacher Ortsgruppe des Reichsbanners fällt in das Jahr 1926, wobei die näheren Umstände nicht bekannt sind. Die Vorstandschaft war mit Wilhelm Bösch (DDP) und Christoph Wolber (SPD) parteipolitisch paritätisch besetzt, während das hier nur schwach organisierte Zentrum nicht in Erscheinung trat. Glücklicherweise über das „Dritte Reich“ hinweg gerettete schriftliche Unterlagen, das von 1927-1933 geführte Protokollbuch und das Kassierbuch von 1932 (jetzt: Stadtarchiv Schiltach), gestatten einen Einblick in die Mitgliederstruktur und die Aktivitäten der Ortsgruppe.

Mit zuletzt 73 Mitgliedern hatte sich hier eine stattliche Anzahl Schiltacher Männer den Zielen des Reichsbanners verschrieben, von denen 59 (= 80%) der SPD angehörten; beruflich waren sie Bahn- und Postbeamte im einfachen Dienst, Werkmeister und, in ihrer Masse, Sägewerks- oder Fabrikarbeiter. Für acht der Reichsbannerleute (= 11%: ein Prokurist, Kaufmann, Gerbereiteilhaber und Oberlehrer sowie je zwei Handwerks- und Werkmeister) steht die Mitgliedschaft in der DDP fest. Die sechs weiteren (= 9%) waren katholische Arbeiter, mit dem Gesellenverein als organisatorischem Hintergrund.

Die im Protokollbuch (siehe Abbildung 2 auf Seite 8) festgehaltenen Veranstaltungen waren die alljährliche Generalversammlung, Familien- und Werbeabende mit Theateraufführungen und Vorträgen, Auftritte auswärtiger Redner, Ausflüge sowie die Beteiligung am Verfassungstag (11. August). Ein immer wieder angesprochenes Thema war die Uniformierung und die Aufstellung einer Musikabteilung. Höhepunkt im Leben der Ortsgruppe war die Bannerweihe 1929 (siehe Abbildung 1 auf Seite 5), ein zweitägiges Fest, an dem Abordnungen aus ganz Baden und aus Württemberg teilnahmen; Festredner waren der Gauvorsitzende Dr. Helffenstein (Mannheim) und der Freiburger Kreisführer Dr. Albert Kuntzemüller.


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Abbildung 2: Eine der letzten Seiten aus dem handschriftlichen Protokollbuch.


3 Politischer Kampf und das Ende 1933

Seit 1930 sind vermehrt Appelle verzeichnet, die vor allem von Christian Wolber, dem Vorsitzenden der SPD, vorgetragen wurden: „Es ist die Pflicht eines jeden Kameraden, sich der Republik in den Dienst zu stellen.“ Eine stärkere Außenwirkung, etwa durch vermehrte Aufmärsche oder Saalschutz, wurde jedoch als „für Schiltach nicht gerade notwendig“ befunden, so dass die Aktivitäten sich in der Hauptsache auf die Versammlungen und die Stärkung der Kameradschaft beschränkten. Tief beeindruckt kamen die Schiltacher Reichsbannerleute jedoch von großen Aufmärschen in Mainz und Mannheim zurück. Die in Schiltach 1932 begründete „Eiserne Front“ sah auch sie in ihren Reihen, deren Vorsitzender, Gottlieb Trautwein (DDP/Staatspartei), feststellen musste, dass das „bürgerliche Lager sich nicht mehr bekennen wollte“ und „dem Arbeiter den Schutz der Republik überließ“.


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Abbildung 3: Der Auflösungsbeschluss vom 14. März 1933


Tatsächlich waren es Arbeiter wie Martin Fritz (1952-70 Bürgermeister der Stadt Schiltach), die Saalschutzaufgaben übernahmen, oder, wie Christian Wolber, die immer wieder zum „Festhalten an dem, was wir errungen haben“ aufriefen; dies vor dem Hintergrund, dass 1932 auch in Schiltach die NSDAP die stärkste Partei wurde und – „die Zeiten sind ernst!“ - das Gespenst einer nationalsozialistischen Alleinherrschaft immer mehr an Konturen gewann.

Als es am 30. Januar 1933 soweit war, lagen die letzten Hoffnungen auf den von Hitler für den 5. März ausgeschriebenen Neuwahlen zum Reichstag, wohl wissend, „dass von ihrem „guten Gelingen das Wohl und Wehe der Republik abhängen.“ Dafür wollte man „aktiv sein“, so durch den Umlauf einer „republikanischen Lesemappe“: „Lest alles, aber das Gute behaltet. Es soll Euch Kraft und Mut geben, sich für die hehre Sache des Reichsbanners einzusetzen.“

Nach dem Sieg der NSDAP (Reichsdurchschnitt: 43,9 %; in Schiltach: 40,6 %) und der sich bald danach abzeichnenden Zerschlagung von SPD und Reichsbanner beschloss der Vorstand der Ortsgruppe am 12. März, das Vermögen zu verteilen und die Fahne zu vernichten, „um solche vor dem Zugriff der Gegner zu bewahren.“ Jedes Mitglied erhielt 2,40 RM, verbunden mit der Mahnung: „Behaltet im Herzen das Banner Schwarz-Rot-Gold, bleibt den Farben und der Republik im Herzen treu.“ Da die oberste Reichsbannerführung sich angesichts der Machtverhältnisse nicht zum aktiven Widerstand entschließen konnte, blieb nur die ehrenhafte Selbstaufgabe, bevor der Terror der neuen Machthaber die Mitglieder traf. (Auflösungsbeschluss siehe Abbildung 3 auf Seite 11.)

Ganz ohne Nachspiel sollte für einige Schiltacher Reichsbanner-Männer ihr Eintreten für die Demokratie jedoch nicht bleiben: In der Nacht des 19./20. März erfolgten durch SA und Polizei Hausdurchsuchungen zwecks Beschlagnahmung der Unterlagen und der Fahne. Sie alle hatte das Reichsbanner-Mitglied Gottlieb Trautwein (1946-52 Bürgermeister der Stadt Schiltach) bei sich versteckt, der den „Fahndern“ glaubhaft machen konnte, dass sie in der Heizanlage der Firma Karlin verbrannt worden waren. So entgingen sie dem von SA und HJ auf dem Schlossberg veranstalteten „Höhenfeuer“ und überlebten im Trautwein‘schen Haus am Schiltacher Marktplatz die NS-Diktatur und den 2. Weltkrieg. Frau Elly Trautwein stellte sie vor einigen Jahren der Forschung und musealen Präsentation zur Verfügung, so dass Schiltach einer der wenigen Orte in Deutschland ist, der Dokumente und eine Fahne des einstigen Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold besitzt.

Literatur

[1]   Stadtarchiv Schiltach: Nachlass Gottlieb Trautwein (enhält die Reichsbanner-Unterlagen).

[2]   Hans Harter, Gottlieb Trautwein (1892-1953). Ein Schiltacher Liberaler und kämpferischer Demokrat, in: Die Ortenau 68 (1988), S. 303-347.

[3]   Hans Harter, „Das Bürgertum fehlt und überlässt dem Arbeiter den Schutz der Republik.“ Die Ortsgruppe Schiltach des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“, in: Die Ortenau 72 (1992), S. 271-302.

4 Bildergalerie


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Abbildung 4: Das Schiltacher Reichsbanner beim Umzug zum „Verfassungstag“



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Abbildung 5: „Bannerweihe“ im Juli 1929: Der Festplatz bei der Turnhalle, auf dem Podium der Festredner Dr. Albert Kunzemüller aus Freiburg



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Abbildung 6: „Bannerweihe“ im Juli 1929: Der Festplatz bei der Turnhalle. Auf dem Podium ganz vorne der Schiltacher „Fähnrich“ Fritz Fieser



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Abbildung 7: Das Reichsbannermitglied Martin Fritz (später Bürgermeister der Stadt Schiltach) in Reichsbanneruniform (Windjacke, Mütze, Koppel



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Abbildung 8: Aufmarsch der Schiltach benachbarten Reichsbannergruppe Schramberg (1928)